22. SONNTAG im Jahreskreis

 

In der Bibel gibt es Bücher, die man zu der „Weisheitsliteratur“ rechnet. Es geht um Lebensweisheit. Einige Beispiele haben wir in der ersten Lesung gehört:

- Sei bescheiden bei allem, was du tust; dann wird man dich mehr lieben als einen, der Geschenke macht.

- Durch diese Bescheidenheit erwirbst du dir die Gunst Gottes.

- Hochmut ist ein Unkraut mit tiefen Wurzeln.

Streben wir in unserem Leben solche Bescheidenheit an? Oder denken wir, wie sehr viele: Im Leben kommt es darauf an, ganz vorne und wichtig zu sein. Schon von klein auf gibt es das Bedürfnis besser, schneller, schöner, reicher, erfolgreicher, angesehener zu sein als andere. Unser Selbstwertgefühl scheint sehr stark davon abzuhängen, ob uns die Mitmenschen zujubeln. Ist Bescheidenheit nicht ein Zeichen der Schwäche?

Jesus ist bei einem wichtigen Pharisäer zu einem Essen eingeladen. Das geschieht öfter. Er dürfte das gerne angenommen haben. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass seine Gegner ihn „einen Fresser und Säufer“ genannt haben, wie im Matthäusevangelium erzählt wird. Jesus sieht, wie die Gäste auf ihre Wichtigkeit bedacht sind. Sie wollen geehrt und bewundert werden. „High society“, „Seitenblicke“- Mentalität. Dagegen ruft Jesus zu Bescheidenheit auf. Das hört man meistens nicht gerne, damals nicht und auch heute nicht.

Jeder Mensch braucht Anerkennung, möchte „angesehen“ sein. Ein Mensch, der nicht „angesehen“ wird, übersehen wird, von dem man keine Notiz nimmt, kommt sich überflüssig vor, hat das Gefühl, dass er „nichts wert“ ist. Er hat dann kein Selbstwertgefühl, fühlt sich wie ein „Niemand“. Deswegen dieses Grundbedürfnis von andern als gut, wertvoll, wichtig bestätigt zu werden.

Aber wann tun andere das? Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der jeder danach beurteilt wird wieviel er „leistet“. Und wenn ich nicht viel leisten kann, weil ich krank bin, meine Fähigkeiten (Talente) beschränkt sind, behindert bin .... habe ich nicht viel Bedeutung und muss ich Angst haben, auf die Seite geschoben zu werden.

Wenn Jesus trotzdem zu Bescheidenheit aufruft und sie uns zumutet, dann geht er von einer Grundannahme aus: Du hast von vornherein einen Wert, ein Ansehen, weil du von Gott „angesehen“ wirst. Weil er dich liebt, und nur deswegen bist du unendlich wertvoll. Sogar dann noch, wenn andere dich nicht anerkennen. Du bist das, was du vor Gott bist. Gott kennt dich bis auf den Grund. Gott kennt das, was dich freut. Auch deine Schwierigkeiten und Fehler. Aber du darfst darauf vertrauen, dass du, so wie du bist, mit allem, was du kannst und auch, was du nicht kannst, so von Gott angesehen und geliebt bist. In diesem Bewusstsein zu leben stärkt dein Selbstbewusstsein und dein Selbstvertrauen.

Aber gleichzeitig sollen wir bedenken: Unsere Fähigkeiten, Talente, Begabungen - darin steckt das Wort „Gabe“! - sind uns gegeben, geschenkt. Sie sind nicht deine eigene Leistung. Also: Weil du gebildet bist, weil du Besitz hast, in einer angesehenen Familie lebst, einen wichtigen Job hast, Karriere machst, deswegen bist du nicht besser oder wichtiger als andere, die das alles nicht haben. Deswegen brauchst du dich nicht über andere erhaben zu fühlen. Bleibe also bescheiden, d.h. dankbar. Bescheidenheit bedeutet nicht, sich selber abzuwerten. Das Bewusstsein, ein von Gott geliebter Mensch zu sein, stärkt dich, macht dich sogar fähig anderen zu dienen („Demut“) ohne dein Selbstbewusstsein zu schwächen.

Wenn ich das erkannt habe und mich selbst so sehe, kann ich meinen Mitmenschen auch ganz ehrlich und ohne Berechnung begegnen. Wahre Liebe rechnet nicht, zählt nicht, erwartet keine Gegenleistung. Wenn ich Leute zum Essen einlade, dann tue ich das aus Freundschaft und Zuneigung zu ihnen und nicht, weil ich mir von ihnen Vorteile und Anerkennung erwarte.

So ist die Bescheidenheit, eine Grundhaltung des Glaubens: Ich bin nicht der Macher meines Lebens, sondern habe es als Gabe empfangen. Von Papst Johannes XXIII, dem großen Papst, der das II. Vatikanische Konzil zusammengerufen hat, wird erzählt: Er stellte sich vor einem Spiegel und sagte: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig ...“ Gott nimmt uns wichtig. Deswegen können wir bescheiden sein.

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